PS99 - Wochenericht Nr. 2| 20. Juni - 26. Juni 2016

Fliegender Wechsel ?

[27. Juni 2016] 

Am 23.06. endete wie geplant der erste Abschnitt der Polarstern-Expedition PS99 in Longyearbyen. Die im ersten Wochenbericht erwähnten hydrographischen, biologischen und geologischen Arbeiten im Rahmen zweier EUROFLEETS2-Projekte konnten sehr erfolgreich zu Ende geführt werden. Innerhalb der zur Verfügung stehenden Schiffszeit von nur 2½ Tagen wurden nordwestlich der Bäreninsel und südwestlich Spitzbergens an insgesamt 40 Stationen in Wassertiefen zwischen 150 und 1800 m Wasser- und Sedimentproben gewonnen, Kamerasysteme über den Meeresboden geschleppt und Verankerungsketten mit Strömungsmessern und Sinkstofffallen ausgetauscht. Erschöpft aber überglücklich über den umfangreichen Datensatz und die Vielzahl von Proben, die während der Expedition PS99.1 gesammelt werden konnten, verließ die EUROFLEETS2-Gruppe am Vormittag des 23.06. das Schiff Richtung Heimat.

Um möglichst wenig der wertvollen Schiffszeit zu verlieren, war das Zusteigen der nachfolgenden Fahrtteilnehmer und das Auslaufen zum nachfolgenden Fahrabschnitt PS99.2 für den Nachmittag desselben Tages vorgesehen. Was als „fliegender Wechsel“ geplant war, konnte dann wegen einer Unregelmäßigkeit im Flugbetrieb leider nicht umgesetzt werden. Aufgrund des Ausfalls einer Maschine, musste ein Großteil der anreisenden Gruppe auf verschiedene Flugverbindungen umgebucht werden, mit dem Erfolg, dass die letzten Fahrtteilnehmer erst am 24.06., um 13:00 Uhr Ortszeit in Longyearbyen eintrafen. Letztendlich haben wir damit einen ganzen Tag für die geplanten Arbeiten auf der Expedition PS99.2 verloren.

Gegen 16:00 Uhr am 24.06. konnten wir uns dann endlich auf den Weg machen. Der zweite Teil der Expedition PS99 wird uns in die Framstraße führen. Das Untersuchungsgebiet der Reise, das LTER (Long-Term Ecological Research) Observatorium HAUSGARTEN, wird von uns seit mittlerweile über 17 Jahren alle Jahre wieder in den Sommermonaten aufgesucht. In einem multidisziplinären Ansatz untersuchen wir hier, im Übergangsbereich zwischen dem Nord-Atlantik und dem zentralen arktischen Ozean, den Einfluss globaler klimatischer Veränderungen und die Auswirkungen des fortschreitenden Rückgangs des Meereises auf das marine, polare Ökosystem.

Der HAUSGARTEN besteht aus einem Netzwerk von (inzwischen) 21 Stationen, die entlang zweier Transekte angeordnet sind und Wasserstiefen zwischen 300 und 5500 m aufweisen. Die Stationen werden alljährlich in den Sommermonaten sowohl in der Wassersäule als auch am Meeresboden beprobt. Die geplanten Arbeiten werden in enger Zusammenarbeit der HGF-MPG Brückengruppe für Tiefsee-Ökologie und -Technologie, der PEBCAO-Gruppe („Phytoplankton Ecology and Biogeochemistry in the Changing Arctic Ocean“) des AWI und der Helmholtz-Hochschul-Nachwuchsgruppe SEAPUMP („Seasonal and regional food web interactions with the biological pump“) durchgeführt und leisten wertvolle Beiträge zu verschiedenen nationalen und internationalen Forschungs- und Infrastruktur-Projekten (z.B. ABYSS, TRANSDRIFT, FRAM, ROBEX, FixO3, ICOS und SIOS). Darüber hinaus tragen die Arbeiten zu dem 2014 begonnenen Forschungsprogramm PACES II („Polar Regions and Coasts in the changing Earth System“) des Alfred-Wegener-Instituts Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) bei.

Unmittelbar nach dem Auslaufen wurde mit der Einrichtung der Labore und dem Aufbau unterschiedlichster Mess-, Registrier- und Probennahmegeräte begonnen. Am 25.06. gegen 6:00 Uhr erreichten wir schließlich die südlichste HAUSGARTEN-Station und konnten mit unserer diesjährigen „Gartenarbeit“ beginnen.

Um verschiedene physikalische, chemische und biologische Eigenschaften des Meerwassers zu untersuchen werden an allen HAUSGARTEN-Stationen Wasserproben mit der sogenannten CTD/Rosette gewonnen. Dieses Gerät kombiniert eine Reihe von Sensoren mit einem Kranz aus Wasserprobennehmern. Die CTD/Rosette wird an einem Kabel bis kurz über den Meeresboden herabgelassen und sammelt Wasserproben aus unterschiedlichen Tiefen über Grund, die anschließend auf verschiedene Parameter untersucht werden.

Plankton-Proben werden mit unterschiedlichen Netztypen gewonnen. Darüber hinaus kommt auch ein spezielles Kamera-System zum Einsatz, mit dem Zooplankter optisch detektiert werden können.

Probennahmen am Meeresboden erfolgen mit kabelgebundenen Greifern, dem sogenannten Multicorer und dem Kastengreifer, die bestimmte Sedimentvolumina aus dem Tiefseeboden ausstechen und an Bord bringen. Ein stahlarmiertes Glasfaserkabel der Polarstern erlaubt uns, die Probennahmen am Tiefseeboden ‚live‘ am Bildschirm zu verfolgen. Ein geschlepptes Foto/Videosystem gibt uns Aufschluss über die großflächige Verteilung größerer Tiere am Boden des HAUSGARTEN-Gebietes. Der Vergleich mit Aufnahmen aus den vergangenen Jahren gibt uns Auskunft über zeitliche Veränderungen in der Dichte und Zusammensetzung dieses sogenannten Epibenthos.

Um abschätzen zu können, wieviel potentielle Nahrung aus der Primärproduktion an der Meeresoberfläche in die Tiefsee herabsinkt, werden Verankerungen mit trichterförmigen Sinkstofffallen eingesetzt. Eine solche Verankerung besteht aus einem Grundgewicht und einem bis zu mehrere Kilometer langen, extrem stabilen Kevlar-Seil. Luftgefüllte Auftriebskörper sorgen dafür, dass diese Seile weitgehend senkrecht in der Wassersäule stehen. Jede Verankerung trägt neben den Sinkstofffallen in unterschiedlichen Wassertiefen auch verschiedene Mess- und Registriergeräte, z.B. Strömungsmesser, Sensoren für die Wassertemperatur sowie den Sauerstoff- und den Salzgehalt.

Neben diesen „klassischen“ Probennahmegeräten kommen bei unseren Arbeiten am HAUSGARTEN Observatorium auch eine Reihe technisch hochkomplexer Systeme zum Einsatz. Hierzu gehören autonome Unterwasserfahrzeuge, die im Oberflächenwasser (Autonomous Underwater Vehicle, AUV) und am Tiefseeboden (Benthic Crawler) operieren, ein sogenanntes Freifall-Gerät (Bottom-Lander), aber auch ferngesteuerte Fluggeräte (Multicopter), die uns – im wahrsten Sinne des Wortes – völlig neue Einblicke gewähren (siehe Abbildungen). Von diesen Geräten und ihren vielfältigen Einsatzmöglichkeiten werden wir im nächsten Wochenbericht detailliert berichten.

 

Mit den besten Grüßen aller Fahrtteilnehmer,

Thomas Soltwedel

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