PS115/2 Wochenbericht Nr. 2 | 10.09. - 16.09.2018

Es geht endlich richtig los: Von Super-Puma und Eisbär zu Kastenlot und OBS

[18. September 2018] 

Montag (10.09.18). Kurz nach Mitternacht (der erste Wochenbericht mit Hinweis auf die gute Laune und den Forschungsbeginn in wenigen Stunden ist gerade abgeschickt worden) eine Hiobsbotschaft: akuter medizinischer Notfall, das Expeditionsprogramm muss erst einmal abgebrochen werden (bevor es eigentlich gestartet worden ist), sofortige Umkehr und Rückfahrt mit voller Kraft (15 kn) Richtung Longyearbyen. Um 19:45 gibt es dann gute Nachrichten vom Kapitän: morgen Abend soll ein Rendezvous mit einem Rettungshubschrauber NE von Svalbard bei 81°N/40°E stattfinden, der den Patienten an Bord nehmen soll.

Dienstag (11.09.18). Auf der einen Seite läuft unser alltägliches Tagesgeschehen ab. 07:00 Meeting auf der Brücke (Kapitän, 1. Offizier, Ltd. Ingenieur, Ltd. Elektroniker, Doc und Fahrtleiter); 08:15 Treffen beim Wetter-Max (Anmerkung der Redaktion: Max Miller ist unser „Wetterfrosch“ vom Deutschen Wetterdienst/DWD und Fan vom FC Augsburg) mit der aktuellen Wettervorhersage für unser Untersuchungsgebiet im Arktischen Ozean aber auch Wetterinformationen aus der Heimat vom Jadebusen (Gruß an Wilhelmshaven) bis Zugspitze; 08:30 Fahrtleiter-Meeting mit Informationen zum Stand der Expedition; ab 09:00 dann weitere Labor- und Decksarbeiten der einzelnen Arbeitsgruppen, und vieles mehr.  Auf der anderen Seite stehen die Verpflegung und Vorbereitung des Patienten für den am Abend geplanten Abtransport, aber auch die Mithilfe und Unterstützung aus dem Kreise der Wissenschaft beim Messebetrieb (Essensausgabe, Aufbacken etc.) und beim Aufräumen der Kammern mit auf dem Programm, da nun auch noch unsere Chefstewardess, Irena Wartenberg, krankheitsbedingt kurzfristig ausfällt (Gute Besserung, Irena!). Hier zeigt sich mal wieder, dass wir alle – Besatzung und Wissenschaft – an einem Strang ziehen und mitwirken, wo immer Hilfe und Unterstützung gebraucht wird. Hierfür auch vom Fahrtleiter noch einmal herzlichen Dank an alle für diesen Einsatz!!

Um 22:39, Dämmerung, laute ungewohnte Geräusche über uns, Süsselmanns Rettungshubschrauber (in Fachkreisen auch „Super-Puma“ genannt) schwebt achtern an Backbordseite über uns (Abb. 1), um unseren Patienten abzuholen. Nach Entscheidung von Doc und Kapitän wird zusätzlich aus vorbeugenden medizinischen Gründen noch eine weitere Person mit ausgeflogen. Die ganze Aktion ist um 22:51 (also in nur 12 Minuten!) abgeschlossen, und der Hubschrauber steigt unter lautem Getöse und aufwirbelnder See auf, dreht ab in Richtung Longyearbyen und verschwindet schnell aus unseren Augen – aber nicht aus unseren Gedanken! Diese folgen den beiden Ausgeflogenen noch lange hinterher, wir wünschen ihnen eine schnelle und sichere Rückreise, die notwendige medizinische Versorgung in der Heimat und schnelle Genesung – toi, toi, toi! Vollste Anerkennung, Hochachtung und Dank aber auch noch einmal an „Süsselmanns Rettungsteam“. Hier sind wirkliche Profis am Werk gewesen, die ihren Job verstehen - ein Job, der sicherlich gefährlich ist und Höchstleistung & Einsatz aller Beteiligten erforderlich macht! (Irgendwie auch beruhigend zu wissen, dass es so etwas gibt und dass hier an Bord von den Verantwortlichen so reagiert wird).

Mittwoch und Donnerstag (12. & 13.09.18) verlaufen eigentlich ohne große Ereignisse. Wir dampfen ja noch durch die Russische EEZ, Forschungsarbeiten sind nicht erlaubt. Wir verbringen die Zeit so mit weiteren Gerätetests, Einführung der „Neulinge“ in geologische Decks- und Laborarbeiten und einem weiteren ArcTrain-Seminar. Da wir weiter nach Osten fahren, wird in der Nacht vom 13./14.09. dann die Uhr auch noch einmal eine weitere Stunde vorgestellt.

Freitag (14.09.18), 06:00 in der Frühe. Frühaufsteher können die Sonne und die gute Sicht genießen. Wird dies vielleicht ein wettertechnisch schöner Tag, der auch das Fliegen erlauben wird? Gegen mittags soll’s ja endlich rausgehen, raus aus der Russischen EEZ und rein in die Forschungsaktivitäten. Was mögliche Flugaktivitäten angeht, müssen wir natürlich auf Max’ erste Wetter-Prognose warten. Wir (d.h., Kapitän, Fahrtleiter, die Piloten und Eis-PIs) treffen uns so – wie jeden Tag - um 08:15 in Max’ Bordwetterwarte. Schlüsselfrage: Können die Helis heute für unsere Eisleute gestartet werden? Fazit: Wetterbedingungen sind nicht optimal aber für Flüge im Umkreis von 10 Seemeilen zu vertreten. Als Plan halten wir fest: (1) Heli-Testflug (10:00-11:00), (2) Eismessflug mit der im Heli fest installierten Kamera (13:00-15:00), (3) Aussetzen einer Drift-Boje und Eisdickenmessungen (15:00-16:00). Der Heli-Testflug von Chefpilot Harald de Jager und Pilot Lukas Piotrowski, bei dem es in erster Linie um einige Testlandungen auf den Eisschollen durch Lukas geht, wird dann auch schon direkt am Vormittag und herrlichem Sonnenschein im Umfeld der “Polarstern“ abgewickelt (Abb. 2).

Um 12:27 ist es dann endlich soweit! Wir verlassen die Russische EEZ! Es geht los! Es folgt das Einschalten von diversen Messgeräten inklusive Datenregistrierung (Gravimetrie, Magnetometer, Hydrosweep und Parasound) - alles Geräte, die von großer Wichtigkeit für unser geowissenschaftliches Programm sind (Details dazu gibt es dann von den Spezialisten in einem der noch folgenden Wochenberichte).

Gleich nach Mittag, 13:18, “Gerit hebt ab“. Der Helikopter startet mit einer dreiköpfigen Meereisgruppe um Gerit Birnbaum (AWI-Meereisspezialistin und Leiterin eines der Meereisprojekte hier an Bord) zum Eismessflug. Auf diesem Flug wird mittels einer noch am Vortag unseres Auslaufens in einem der Helis festeingebauten Kamera die Verbreitung und Größe von Schmelzwassertümpeln auf den Eisschollen großflächig auskartiert. Um 14:50 landet der Heli wieder sicher auf dem Helideck. Der weitere für heute noch geplante Flug muss leider ausfallen – die Sichtverhältnisse sind zu schlecht geworden.

Gegen 18:00 haben endlich auch die Geologen ihre erste Station. Großkastengreifer und Kastenlot kommen zum Einsatz. Als der Großkastengreifer dann kurz vor 21:00 Uhr an Deck steht, wird er von unseren zahlreichen „Neulingen“ umringt und bewundert. Der Kasten mit einem Querschnitt von 50cm x 50cm ist voll mit Sediment, genug, dass alle ihr „Stück“ für die geplanten eigenen Untersuchungen abbekommen und noch genügend Material für das AWI-Sedimentkernarchiv übrigbleibt. Mittlerweile ist auch das Kastenlot zu Wasser gegangen - ein 12m langer Kasten mit einem Querschnitt von 30cm x 30cm und bestückt mit einem 3.5 Tonnen-Gewicht. Genau um 22:41 Uhr trifft der Kasten auf den Meeresboden und wird von dem Gewicht in den Boden gedrückt – ein perfekter Verlauf von Entlastung, Eindringen und Rausziehen des Kastens, wie aus dem optimalen Kurvenverlauf des mitlaufenden Windenzugschreibers schon eindeutig zu erkennen ist. Böse Überraschungen werden uns so sicherlich erspart bleiben, wenn das Kastenlot wieder oben ankommt. Jetzt heißt es noch eine Stunde Wartezeit, bis das Kastenlot an Deck ist ….. Und dann liegt das schöne Stück schließlich vor uns im Absatzgestell; das Kastenlot ist über 7.5 m in den Meeresboden eingedrungen, wie aus den Spuren an der Außenseite des Metallkastens zu erkennen ist! Und die „Zipfelmütze“ am untersten Ende des Lots ist intakt (Abb. 3) – ein perfekter Lauf! Damit ist aber die Arbeit am Kastenlot für heute noch nicht vorbei.

Die beiden Kästen müssen noch vom Gewichtsträger getrennt und ins Labor gebracht werden – Keine einfache Arbeit, die noch einmal großen Einsatz - auch insbesondere von der Decksmannschaft - verlangt. Das Lot ist schließlich im Labor und liegt sicher auf den Ablageböcken. Für heute nun aber genug mit dem Kasten – alles Weitere am Montag, wenn das Geheimnis des KAL gelüftet werden soll (Unsere Kastenlot-Fans zuhause müssen allerdings bis zum nächsten Wochenbericht warten, um an diesem Highlight teilhaben zu können). Jetzt (es ist mittlerweile Mitternacht) geht’s aber erst einmal weiter Richtung OBS-Gebiet!

Samstag (15.09.18). Für unsere Eisgruppe hat unser Wetter-Max zunächst einmal eine schlechte Nachricht. Aus wettertechnischen Gründen gibt es heute für Helikopterflüge kein grünes Licht. Traurige Gesichter! Aber vielleicht gibt es ja doch noch eine Lösung. Wir denken da an Alternativen, die parallel zu den OBS-Arbeiten, die heute im Zentrum unserer Aktivitäten stehen, durchgeführt werden (s.u.). Aber zunächst einmal zu dem OBS-Programm.

Was steckt denn überhaupt hinter den „OBS-Arbeiten“?  OBS steht für „Ocean Bottom Seismometer“ (Meeresbodenseismometer) (Abb. 4). Diese sind Messgeräte, die auf dem Meeresboden, in unserem Fall an der Nordflanke des Gakkel Deep (das bereits im letzten Wochenbrief vorgestellt worden ist), abgesetzt werden und dort automatisch und kontinuierlich Mikroerdbeben aufzeichnen sollen. Per Kran werden an Backbordseite so zwischen 09:30 und 20:00 Uhr an vier nur 4-6 Seemeilen voneinander entfernten Lokationen je ein Seismometer ausgesetzt. Nach Ausklinken der Seilverbindung verschwindet das OBS schnell aus unseren Augen, sinkt mit ca. einem Meter pro Sekunde zum Meeresboden (der hier etwa 4000 m tief ist). Die Reise durch die Wassersäule und auch die sichere Landung am Meeresboden haben John Scholz, Geophysiker vom AWI und verantwortlicher Wissenschaftler für dies OBS-Programm an Bord, und Schiffs-ELO, Winfried Markert, über einen „Pinger“, ein am Gerät angebrachten Signalgeber, auf einem Monitor genau verfolgen können. Für das spätere Auffinden der Systeme, die ja unter der Meereisdecke versteckt sein können, sind diese Informationen sehr wichtig. Unsere OBS-Systeme werden nun für die nächsten 12 Monate automatisch Mikroerdbeben im Bereich des Gakkel-Rückens aufzeichnen, nach getaner Arbeit im Herbst 2019 von ihrem Ankergewicht befreit (ein ferngesteuerter Auslösemechanismus macht dies möglich!) und dann wieder an die (meereisbedeckte?) Wasseroberfläche aufsteigen. Lasst uns die Daumen drücken, dass dies alles auch so klappt und die OBS-Systeme alle im nächsten Jahr gefunden und wieder geborgen werden!

Während der OBS-Stationen können nun auch die Wünsche einiger Eisleute erfüllt werden. Von den angesetzten vier Eiseinsätzen werden dann allerdings nur eineinhalb in die Tat umgesetzt. Nachdem wegen schlechter Sichtbedingungen der Morgeneinsatz ausfallen muss, kann um die Mittagszeit eine Vierergruppe mit Frontmann und Eisspezialist Gunnar Spreen (Uni Bremen) mit dem Mummy Chair auf die an Steuerbord liegende Eisscholle abgesetzt werden (Abb. 5). Die Eis-Mission lautet „Aussetzen einer Drift-Boje und Messen der Eisdicke mit Eisbohrer“. Zwei Personen – natürlich beide angeleint - denn Sicherheit geht vor – verlassen so den Mummy Chair für die Eisarbeiten, zwei bleiben zurück als Eisbärenwache bzw. als Sicherheitsleinenposten. Beide Arbeitspunkte werden erfolgreich abgeschlossen. Die Drift-Boje wird nun mit der Eisscholle eine Reise quer durch den gesamten Arktischen Ozean mit Ziel Nordatlantik antreten. Der dritte Eiseinsatz und auch ein Großteil des vierten fallen einem uns schon bekannten “Besucher“ zum Opfer. Im Gegensatz zur letzten Woche, wo er in größerer Entfernung an uns vorbei driftete, klopft ein großer Eisbär dieses Mal jedoch fast an die Tür (Abb. 6). Neugierig nähert er sich dem Schiff, von Zeit zu Zeit mit deutlichen Drohgebärden, die uns zeigen sollen, wer hier das Sagen hat. Wir geben nach und verzichten auf den Eiseinsatz hier. Unsere Eis-Mission wird so im wahrsten Sinne des Wortes zur einer “Mission Impossible“! Eine “Scholle weiter“ (also nach 4 Seemeilen Fahrt zur OBS-Position Nr. 4) gehen dann Gerit Birnbaum und Heike Zimmermann (Geochemikerin vom AWI Potsdam) auf’s Eis, d.h., verlassen den Mummy Chair, in dem wieder Eisbärenwächter und Sicherheitsposten zurückbleiben. Alles beginnt vielversprechend, erste Eisdickenmessungen werden erfolgreich durchgeführt. Als mit dem Hauptprogramm begonnen werden soll, d.h., Eiskerne gebohrt werden sollen, macht wieder unser alter Bekannter von der letzten Scholle uns einen Strich durch die Rechnung (oder ist es sein Bruder, den er uns geschickt hat?). Aufmerksame Beobachter auf der Brücke haben einen Eisbären entdeckt, der sich von Backbordseite nähert und vielleicht sein Abendbrot gewittert hat. Unser 1. Offizier, Uwe Grundmann - schnell und gründlich wie immer, lässt die Station sofort abbrechen, die Eisgängerinnen werden zurückgepfiffen. Sie sind in Sekundenschnelle wieder in den Armen von “Mummy“ und werden dann sicher an Bord von “Polarstern“ gehievt.

Damit geht für alle und insbesondere für die OBS- und Meereisleute ein zweiter sehr ereignisreicher Tag zu Ende. Noch ein kleiner (aber auf jeden Fall zumindest für eine Person an Bord sehr erwähnenswerter) Nachtrag und Dank: heute gab es nachmittags Mohnkuchen mit dicken Streuseln und abends Senfeier !! – wie früher bei Oma und Muttern zuhause!!

Sonntag (16.09.18). In aller Herrgottsfrühe (es ist Sonntag!) geht’s schon wieder weiter mit der nächsten Geologie-Station. Wir sitzen immer noch im mittlerweile allen interessierten Lesern des Wochenberichts bekannten Gakkel Deep, über 5000 m Wasser unter uns. Der Großkastengreifer geht gegen 02:00 Uhr zu Wasser, das Schwerelot folgt um 05:00 Uhr. Bei dieser großen Wassertiefe sind diese Einsätze zeitaufwendig. Gut eine Stunde runter fieren und dann eine Stunde wieder hochhieven, also mehr als zwei Stunden reine Fahrzeit der Geräte! Aber beide Einsätze verlaufen sehr erfolgreich, rechtfertigen den Einsatz. Wie erfolgreich der Einsatz des Schwerelots dann wirklich war, zeigt sich allerdings erst, wenn wir den Kern Anfang der kommenden Woche aufgeschnitten haben und sehen, was sich in dem Plastikliner für Kostbarkeiten verbergen. Dazu dann mehr im nächsten Wochenbericht.

Die Geologie verabschiedet sich damit – was die Decksarbeiten und die Geräteeinsätze angeht - erst einmal für ca. drei Tage und übergibt diesbezüglich das Zepter (aber nicht die Fahrtleitung!) an die Geophysik. Noch ca. acht Seemeilen, gegen 10:30 Uhr, dann wollen die Geophysiker loslegen und ihre Luftpulser und den “Streamer“ zu Wasser bringen. Was sich dahinter verbirgt, wozu das Ganze gut ist, darüber wird dann bei nächsten Mal berichtet.

 

In diesem Sinne!

Herzliche Grüße an unsere Lieben daheim, natürlich wie immer im Namen aller,

Ruediger Stein

16.09.2018

Kontakt

Wissenschaftliche Koordination

Rainer Knust
+49(471)4831-1709
Rainer Knust

Assistenz

Sanne Bochert
+49(471)4831-1859
Sanne Bochert