PS115/2 Wochenbericht Nr.3 | 17. - 23.09.2018

Mit Geophysik und Geologie bis 83°05’N – dem nördlichsten Punkt unserer Expedition

[25. September 2018] 

Montag/Dienstag (17./18.09.18). Eine neue Woche beginnt, aus Sicht der Wetterwarte eine ruhige – Nebel, ruhige See, eisfrei. Das Ganze erinnert eigentlich nicht an den Arktischen Ozean (aber das wird sicherlich wieder anders werden, wenn wir am Ende der Woche weiter nach Norden dampfen werden). Noch etwas ist im Vergleich zur letzten Woche anders, ungewohnt. Wie im letzten Wochenbericht berichtet bestimmen ja nun seit gestern die Geophysiker das wissenschaftliche Programm, an das wir jetzt alle 15 Sekunden durch ein durchs ganze Schiff gehendes Geräusch, ein regelmäßiges „Wum“, erinnert werden. Wie und insbesondere auch warum machen die Geophysiker dies eigentlich?

Nun, ein Hauptziel unserer eigenen Expedition ist das Aufspüren von geeigneten Lokationen von Bohrungen, die später im Rahmen eines internationalen Tiefseebohrprogramm (International Ocean Discovery Programm – IODP) durchgeführt werden sollen. Für derartige Bohrungen, die bis 1000 m tief (!!) in den Meeresboden gehen sollen (da kann natürlich selbst der schönste Kastenlotkern nicht mithalten) und die wir für eine IODP-Bohrkampagne vorgeschlagen und bewilligt bekommen haben, werden genauere Informationen über die Untergrundstrukturen gebraucht. Daher sind seismische Voruntersuchungen, die ein Abbild der Untergrundstruktur liefern, eine Voraussetzung für einen erfolgreichen IODP-Bohrvorschlag. Damit kann die Mächtigkeit und der Verlauf von Sedimentschichten bis in mehrere Kilometer Tiefe bestimmt werden. Um bestehende Datengrundlagen aus Voruntersuchungen aus unserer Polarstern-Expedition PS87 von 2014 zu verbessern, werden sogenannte „seismische Kreuzprofile“ über die Bohrlokationen benötigt. Und da sind nun unsere Geophysiker gefragt, die unter Leitung von Estella Weigelt (AWI) diese seismischen Messungen durchführen und damit verantwortlich für das „Wummern“ an Bord sind. Das „wie“ kann uns Estella am besten selbst erklären.

Bereits gestern Vormittag, gestärkt durch ein ordentliches Frühstück mit leckeren Pfannkuchen, haben die Geophysiker mit dem Ausbringen des Streamers (Abb. 1a) und der Luftpulser begonnen (Abb. 1b). Eingesetzt werden dabei vier Luftpulser, die mit Hilfe eines leistungsfähigen Kompressors vom Schiff stetig mit bis zu 150 bar komprimierter Luft versorgt und alle 15 s entladen werden. Dabei werden Schallwellen erzeugt, die sich im Wasser in alle Richtungen ausbreiten, auch in die Gesteinsschichten unterhalb des Meeresbodens. An jeder Gesteinsschicht wird ein Teil der Schallenergie wieder Richtung Meeresoberfläche zurückgeworfen. Die rückkehrenden Schallwellen werden von dem Streamer registriert – eine ca. 600 m lange Aneinanderreihung von Hydrophonen, die hinter dem Schiff geschleppt wird (Abb. 2a). Diese Reflexionssignale werden im seismischen Mess- und Registrierraum aufgezeichnet (Abb. 1c) und daraus ein erstes Bild des Untergrundes erstellt. Für optimale Aufzeichnungen ist es notwendig, die Schiffsgeschwindigkeit auf 5 Knoten zu halten - bei nur 1-2 m dicken Eisbedeckung für die „Polarstern“ kein Problem. Ferngesteuerte Stabilisatoren (sogenannte „Birds“) erlauben es, den Streamer in einer konstanten Wassertiefe von 12 m hinter dem Schiff hergleiten zu lassen. Sollte doch unvermutet eine dickere Eisscholle auftauchen, kann mit Hilfe der Birds der empfindliche Streamer schnell auf bis zu 30 m Tiefe abgesenkt werden. Dazu kommt es bei unserem Einsatz zum Glück nicht. Nach unserem Start beim Gakkel Deep bei mäßiger Eisbedeckung erreichen wir im Amundsen Becken offenes Wasser. So gibt es keine Probleme, unsere Messungen durch das Amundsen Becken, dann nach Süden entlang des Lomonosov Rückens und mit einem Abstecher ins Makarov Becken hinein zu absolvieren.

Drei Tage lang, von Sonntag bis Dienstag, ist das gleichmäßige Wummern der Luftpulser durchs Schiff zu hören - natürlich Musik in den Ohren aller Geophysiker! Doch dieser Schall wird natürlich auch von allen Tieren im Wasser wahrgenommen. Damit wir hier vor allem keine marinen Säugetiere beeinträchtigen, wird eine "MMO-Wache" (Marine Mammal Observer) eingerichtet, die rund um die Uhr fleißig Ausschau nach Walen, Walrössern und Eisbären hält.  Sollten Tiere gesichtet werden, würden die seismischen Messungen unverzüglich unterbrochen werden. Diese MMO-Wachen werden insbesondere von den ArcTrain-Studenten übernommen (herzlichen Dank dafür!) - eigentlich ein sehr, sehr langweiliger Job für die Wachgänger, da zum Glück auf unserer Expedition weit und breit keine Tiere gesichtet werden.

Erste Ergebnisse des seismischen Profils entlang des Lomonosov Rückens sehen vielversprechend aus (Abb. 2b). An den Kreuzungspunkten zu älteren Profilen lassen sich ca. 1600 m mächtige, völlig ungestörte und parallel verlaufende Sedimentschichten ausmachen, die somit ideale Bohrlokationen darstellen. Ebenso interessant sind die Profile durch das Amundsen Becken, die u.a. eine ca. 400 m hohe Erhebung zeigen. Ein Ansatz dieses Seamounts war schon 2014 in Aufzeichnungen von Sedimentecholot (Parasound) und Bathymetrie entdeckt worden. Doch war bislang unklar, ob es sich hier um einen oberflächennahen Schlammvulkan oder eine tiefere Struktur der Erdkruste handelt. Die neuen Messungen zeigen nun, dass dieser Seamount von der Kruste aus durch die Sedimentschichten ragt und vermutlich einen magmatischen Ursprung hat.

Nach diesem kleinen Ausflug in die Geophysik (Danke Estella!) wieder zurück zum Tagesgeschehen. Mittlerweile bestimmt seit heute (Mittwoch 19.03.18) wieder die Geologie das Programm. Die Arbeiten an Oberdeck sind recht angenehm, Temperaturen um +1 °C, spiegelglatte See, Ententeichatmosphäre. Neben Kastengreifer, Schwerelot und Kastenlot kommt bei den Sedimentbeprobungen heute auf dieser Expedition der Multicorer zum ersten Mal zum Einsatz, ein Gerät, das die Gewinnung von vollkommen ungestörten oberflächennahen Sedimenten ermöglicht. Nachdem das Multicorergestell auf dem Meeresboden aufgesetzt hat, werden sechs ca. 50 cm lange Plastikrohre mit einem Durchmesser von 10 cm vorsichtig von einem mitgeführten Bleigewicht in den Meeresboden gedrückt. Beim Hieven des Multicorergestells wird nun ein Verschlussmechanismus ausgelöst, Verschlusskappen schnellen unter die einzelnen Rohre und verhindern das Rausrutschen des Sediments – eine einfallsreiche Erfindung! Sind die Multicorer-Rohre an Deck, beginnt auch gleich ein reges Treiben im Sedimentlabor, denn die einzelnen Rohre müssen beprobt, in 1 cm dicke Scheiben geschnitten werden, die dann in Plastiktüten und Glasröhren kommen, einige werden eingefroren, andere nicht. Das hängt davon ab, welche Art von Untersuchungen später an dem Probenmaterial in den Heimatlabors durchgeführt werden sollen.

Am Donnerstag (19.09.18) steht dann – zumindestens aus geologischer Sicht – ein gewisses Highlight auf dem Programm. Auf der „Polarstern“-Expedition PS51 von 1998, an der übrigens schon sieben von unserer jetzigen Truppe mit dabei gewesen sind (d.h., aus der Mannschaft Uwe Grundmann, Lutz Peine, Ecki Burzan und Michael Martens, aus der Wissenschaft Norbert Lensch, Estella Weigelt und der Fahrtleiter – willkommen im Club der „glorreichen Sieben“ und Glückwunsch zum 20. Jahrestag dieses Ereignisses!), ist ein Schwerlotkern gewonnen worden, dessen Sedimente aus der unteren Kernhälfte sich in ihren Eigenschaften deutlich von den darüber liegenden Sedimenten unterscheiden. Sprunghafte Änderungen in Farbe, Korngröße und Dichte sowie die schrägliegende Grenze zwischen beiden Einheiten mag auf eine Schichtlücke hinweisen, d.h., in dieser Grenzschicht kann eine zeitliche Lücke von Jahrtausenden bis zu Jahrmillionen stecken. Ähnliches haben wir in einem Sedimentkern ganz aus der Nähe, den wir auf der Polarstern-Expedition PS87 in 2014 gewonnen haben (Uwe Grundmann und Michael Martens sowie Norbert Lensch, Frank Niessen, Michael Schreck und der Fahrtleiter sind damals auch mit dabei gewesen und können dies bestätigen), nachweisen können. Dieser Sedimentkern stammt aus einem Gebiet, das sich durch riesige Rutschmassen auszeichnet. Wenn diese Rutschmassen (ähnlich wie Erdrutsche oder Lawinen) den Hang des Lomonosov-Rückens „hinunterrauschen“, können bei diesem Vorgang im Bereich der steilen Abrisskante ältere Sedimentpakete freigelegt werden, die eigentlich erst in größerer Tiefe anstehen und damit für uns mit unseren Möglichkeiten eigentlich unerreichbar sind. Eine derartige Situation bietet uns die einmalige Gelegenheit, mit unseren einfachen Geräten wie Schwerelot oder Kastenlot diese alten Sedimente zu beproben. Eine ganz spannende Sache, der wir auf dieser Expedition etwas auf den Grund gehen wollen (schön, dass ihr auch beim dritten Mal wieder mit dabei seid, Uwe, Michael M und Norbert!).

Voraussetzung hierfür ist allerdings erst einmal die genauere Information über die Meeresbodentopographie (wo ist der Hang am steilsten, um die alten Sedimente im Untergrund freizugeben?) und über den Aufbau der Sedimentschichten im Untergrund. Ersteres bekommen wir aus der bathymetrischen Kartierung mittels der Hydrosweep-Anlage, letzteres aus den Parasound-Profilen. Was hinter diesen Parasound-Profilen steckt, wird uns unser Parasound-Spezialist, Frank Niessen, in einem der nächsten Wochenberichte erzählen. Wie die Hydrosweep-Vermessung abläuft, welches Prinzip dahintersteckt, wird uns das PS115/2-Bathy-Team (Melanie Steffen, Sophie Andree und Lamis Oberwinster) jetzt etwas näher erläutern:

Die bordeigene „Hydrosweep-Anlage“ wird genutzt, um den Meeresboden zu kartieren. Das Meer besitzt, ebenso wie das Festland, unterschiedliche Landschaften und Topographien, versteckt unter riesigen Wassermassen. Diese Topographie wird Bathymetrie genannt. Um den Meeresgrund zu erkunden, müssen wir erst einmal das Wasser durchdringen. Mit Licht kämen wir nur einige Meter tief, aber Schall breitet sich im Wasser hervorragend aus. Bei mehreren tausenden Meter Wassertiefe werden also Schallwellen, am besten mit einer tiefen Frequenz, genutzt. Je tiefer die Frequenz, desto größere Wassertiefen können überwunden werden. Um uns diesen Effekt zunutze zu machen, ist am Rumpf des Schiffes ein Sender (15 kHz) und Empfänger eingebaut, wo fächerartig Signale ausgesendet und empfangen werden (Abb. 3a). Aus der Zeitspanne, die das Signal benötigt, um den Meeresboden zu erreichen und als reflektiertes Signal wieder empfangen zu werden, wird dann die Tiefe berechnet. Dieses ist das Grundprinzip unseres Fächerecholots (Hydrosweep-Anlage). Es ergibt sich eine Punktewolke aller reflektierten Signale, welche auf unserer Fahrt, in Abhängigkeit von Tiefe und Eisanteil, zwischen 5-10 km Breite abdecken kann. Aus den aufgenommenen Tiefendaten der Einzelprofile ergibt sich eine Karte, die Stück für Stück wächst. Je weiter wir fahren, desto vollständiger wird sie. Besonders Objekte, wie Unterwasservulkane und steile Abrisskanten (auf die letzteren kommt es jetzt gerade bei dem vorliegenden „Geo-Highlight“ an!) machen die Kartierung spannend. Bevor allerdings die Daten des Fächerecholots als zuverlässiges Kartenmaterial genutzt werden können, müssen sie weiterverarbeitet werden. Ausreißer in den Daten müssen in mehreren Schritten nachbearbeitet werden. Aber die Mühe lohnt sich, wenn man das Ergebnis betrachtet (Abb. 3b)!

Wie gehen wir nun weiter vor? Die genaue Ausdehnung des Steilhangs mit Abrisskante liegt vor (danke noch einmal an das Bathy Dream Team), zusammen mit den Parasound-Daten können so nun Kernstationen festgelegt werden (Danke Frank!), die uns eine Chance auf alte Sedimente geben. Diese Lokationen liegen eng beieinander, nur wenige 100 m auseinander. Für eine erfolgreiche Beprobung ist daher auch das Können der Schiffsbesatzung ausschlaggebend. Zum einen wird von den Nautikern eine extrem genaue Positionierung des Schiffs verlangt, um den Dampfer auf den Punkt zu bringen. Für unsere „Briefmarkenpositionen“ braucht es aber noch eine weitere Zusatzleistung: 25 m über dem Schwerelot haben wir einen Pinger (Sender) angebracht, der eine genaue Positionierung des Schwerelots über Grund und zum Schiff erlaubt. Der Empfang des Pinger-Signals und damit die genaue Positionierung des Schwerelots über Grund wird von Winfried Markert (einer unserer Bord-ELOs) auf seinem PC-Bildschirm im Windenleitstand bzw. auf der Brücke überwacht. In einer tollen Gemeinschaftsaktion zwischen Nautiker, Bord-ELO, Windenführer und Wissenschaft bringen wir das Schwerelot in fünf schnell aufeinanderfolgenden Einsätzen genau auf Position. Ein Dankeschön noch einmal an alle Beteiligten! Die Kerne, die bei diesen fünf Aktionen an Deck kommen, unterscheiden sich deutlich voneinander und auch von allen anderen bisher gewonnenen Kernen: z.T. kurze Stummel mit fossilreichen Steinen, dann feste/steife Tone, zwei Kernfänger werden bei den Einsätzen etwas „verformt“ – eben alles einfach „anders“. Dies sind erste Anzeichen für „außergewöhnliche Sedimente“ und lassen uns hoffen.  Ob es sich allerdings um die richtig alten Sedimente handelt, von denen wir hier träumen, wird sich erst zeigen, nachdem wir die Kerne im Labor geöffnet haben. Wir müssen uns hier also noch etwas gedulden. 

Jetzt steht erst einmal das Wochenende vor der Tür - was sich allerdings von der Tagesroutine auf dem Achterdeck und in den Labors her nicht groß von den anderen Tagen der Woche unterscheidet. Auch am Freitag und Samstag (21./22.09.18) herrscht im großen Nasslabor der Geos Hochbetrieb, das gewohnte Treiben mit Arbeiten an Kastengreifer- und Multicorerkernen, dem wunderschönen Kastenlotkern, dem Beschriften und Beproben von Kernen, Wegstauen, Umstauen, Saubermachen etc. (Abb. 4). Zuhause hätte man das Wochenende sicherlich mit anderen Aktivitäten verbracht.

Für den Sonntag (23.09.18) ist dann allerdings etwas „Großes“ geplant. Wir wollen eine “Multi-Station“ machen: Neben den Geo-Einsätzen von Großkastengreifer, Multicorer und Kastenlot soll eine 6-Stunden-Eisstation auf einer Großscholle stattfinden. Zusätzlich soll auf dieser Station allen, Besatzung und Wissenschaft, die Möglichkeit gegeben werden, einen ausgedehnten Sonntagmorgen-Spaziergang auf dem Eis zu machen. Leider macht uns die hiesige Eissituation dann einen Strich durch die Rechnung. Am Sonntagmorgen stehen wir gegen 05:30 auf der Brücke, um Ausschau nach einer geeigneten Eisscholle zu halten, eine Scholle, die groß genug für unsere „Multi-Station“ ist. Nur kleine oder zu dünne Eisschollen sind in unserer näheren Umgebung zu entdecken - nichts, das für unser Sonntags-Highlight geeignet ist. Große Enttäuschung bei allen. Kapitän und Fahrtleiter entscheiden so, noch ca. zwei Stunden zu investieren und Richtung Norden zu dampfen, in der Hoffnung, unsere Wunschscholle noch zu finden.  Auch dies bleibt leider ohne Erfolg. Wir hätten es uns so gewünscht, gerade auch für die „Neulinge“, die zum ersten Mal mit dabei sind, wäre dies sicherlich als ein Highlight in Erinnerung geblieben. Es bleibt so nichts anderes übrig, als die Suche abzubrechen. Wir ändern das Programm. Es erfolgt eine zweistündige Untersuchungs- und Beprobungsaktion der Meereisgruppe auf einer Eisscholle an der nördlichsten Position unserer Expedition – 83°05’N, 142°30’E (Abb. 5) (über den Ausgang und den bisherigen Stand der Eisaktivitäten wird dann im nächsten Wochenbericht ausführlicher berichtet), gefolgt von der Geo-Aktion mit Großkastengreifer, Multicorer und Kastenlot. Danach, gegen 19:00, übernehmen dann – wie am letzten Sonntag schon - die Geophysiker wieder das Kommando. Damit geht dann auch der Sonntag so langsam zu Ende.

 

In diesem Sinne!

Alle sind immer noch wohlauf und guter Dinge.

Herzliche Grüße an unsere Lieben daheim, natürlich wie immer im Namen aller,

 

Ruediger Stein

23.09.2018

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