PS96 Wochenbericht Nr. 7 | 25. - 31. Janauar 2016

Forschungsfinale

[01. Februar 2016] 

Jeder gute Spielfilm, Feuerwerk oder Symphonie enden mit einem Finale. Da zeigt nochmal jeder und alle zusammen, was sie können - so auch hier gegen Ende der Stationsarbeiten. Alle Geräte der Meeresforschung werden zu Wasser gelassen (nacheinander, nicht gleichzeitig!), die Komplexität der Einsätze und Technik und die Vielfalt der Ergebnisse muss man selbst erlebt haben um es nachvollziehen zu können. Nur einen Hauch von Eindruck können die ausgewählten Bilder mit unseren Berichten vermitteln.

Erster Schritt im wissenschaftlichen Arbeiten ist häufig eine Dokumentation des interessierenden Objektes. Fast jedes Beprobungsgerät ist heute mit einem Kamera/Videosystem ausgestattet, damit man im Meeresboden nicht blind rumstochert. Andere Geräte dienen ausschließlich der Bildkartierung bisher gänzlich unbekannter Gefilde. Gegen die gängige Aussage „der Meeresboden ist unbekannter als die Rückseite des Mondes ...“ arbeiten wir an.

Das OFOS (Ocean Floor Observation System) bebildert und filmt am Draht dicht über dem Boden hängend während das Schiff auf Schleichfahrt driftet. Auf diese Weise haben wir den stellenweise bunt belebten Meeresboden einige tausend Male fotografiert. Das ROV (Remote Operated Vehicle) ist ein ferngesteuerter wasserdichter Roboter per Lichtleiter-Nabelschnur mit dem Schiff verbunden, der auch mal an favorisierten Stellen mit seinem Arm Beprobungen und Messung durchführen kann. Man muss schon bis ins Objekt reinkriechen, wenn man wissen möchte, wie die Natur in eiskalter Dunkelheit Organismen wie z.B. die Kieselschwämme uralt werden lässt (viele tausend Jahre?), wo der glaswolleähnliche Baustoff (Silizium) herkommt und auf welche Art und Weise sie ihr Futter verstoffwechseln. Und in 300 m Wassertiefe könnte man schlecht persönlich messen. ROV und OFOS liefern hochauflösende digitale Aufnahmen nach dem Stand der Technik.

Und dann gibt es noch das Nasslabor - und so sieht es auch aus. Dort ist fast alles möglich (daher ist es auch total verpönt mit dem Labor-Schuhwerk durchs Schiff zu laufen...). Episodisch verpacken hier die Geologen ihre bildschönen grauen Plastikliner voller Sediment. Dann und wann rauscht eine rote Flut von wasserdicht gekleideten Wissis durch die Hallen und sortiert konzentriert den neusten Fang. Kein Organismus bleibt unbeachtet - auch was im Sediment lebt und atmet, ist Bestandteil wissenschaftlicher Fragestellungen. Scheibchenweise werden die Sedimentabfolgen zerlegt und gesiebt um derer habhaft zu werden, die auch noch die letzten Überreste verdauen - das was an Fressbarem von oben runterrieselt. Zitat aus einem Senkenberger Kindermalbuch zur Erklärung der Tiefsee: „Falls ihr einen Garten habt, hast Du vielleicht schon mal eine Schaufel mit Erde angeschaut. Dann siehst Du Regenwürmer, Käfer, Schnecken...“.

Man ersetze „Schaufel“ durch „Multicorer“, „Erde“ durch „Sediment“ und „Regenwürmer etc.“ durch „Meiofauna“ - und erkennt sofort, worum es hier geht: Die Resteverwertung im Boden, der Recyclingprozess des Lebens, der die Nährstoffe zurückführt an den Anfang der Nahrungskette.

Fische sind ein beliebter Teil menschlicher Ernährung. Auf Polarstern serviert die Küche zwar auch (und nicht nur) jeden Freitag Fisch, aber das, was unsere Trawls bisher mitgebracht haben, wäre selbst als Appetizer in einem Schickimicki-Restaurant zu mager. Unser fangfrischer Fisch wird nicht gebraten sondern konfrontiert mit jenen Schadstoffen, die von der Zivilisation erfunden, verwendet, verteilt und wieder verboten wurden (belastete Akronyme: DDT, PCB, PBDE, Dioxin). Diese werden mit den Höhenwinden global verteilt und die moderne analytische Präzision erlaubt den Nachweis auch im antarktischen Schnee und besagten Fischen. Wie der Name sagt, schaden die Stoffe dem Organismus; er reagiert mit Stress, Krankheit und im schlimmsten Fall mit Ableben. In unseren Schiffslaboren findet sich eine komplette Prozesskette, um die Reaktion des Immunsystems und seiner Exekutive (Leukozyten, Leber) im bis auf die Zelle zerlegten Fisch beizukommen. Diese Woche braucht‘s dringend ein neues Trawl - alle Fische sind seziert und die Leukos verarbeitet.

Trawlzeit kollidiert allerdings mit Lotzeit. Die Geologen haben im Echolot ein außergewöhnliches Gebiet ausgemacht. Wenn ein Schelfeis nicht so recht weiß, was es will und - weder schwimmend noch gründelnd - den Untergrund nur streichelt, erzeugt dies charakteristische Strukturen, die (selbstverständlich) einen wissenschaftlichen Namen tragen: Grounding Zone Wedge. Da bisher so lehrbuchreif nicht beobachtet, wissen die Geologen genau was sie wollen: Zwei Schwerelote bitte! Die Zeit neigt sich Richtung Punta Arenas - ein anderes Lot wird dafür gestrichen. Ein Dutzend verschiedene Forschungsprojekte wollen und sollen zu ihrem Recht kommen ...

... auf unserem Schweizer-Taschenmesser-Schiff: Forschungsplattform, Eisbrecher, Frachter, Logistikunternehmen, Wetterwarte, Fischdampfer, Hotel (inkl. Wellnessabteilung), Ambulanz, Flugplatz, Kleinkraftwerk ... Unglaublich - und alles funktioniert wie am ersten Tag - auch Dank der hervorragenden Pflege der Reederei Laeisz und der Lloyd Werft.

Die Erbauer der Nachfolgerin werden sich Mühe geben müssen.

 

Besatzung und Wissenschaft senden Grüße - Filchner Schelf und südliches Weddellmeer achterraus.

 

PS: Spritzfisch und Armfüßler treffen sich heimlich hinter der Friktionswinde und dichten Taufsprüche für Fächerkoralle und Seenadel. Was könnte das bedeuten?

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