Forschungsinitative: Jahr der Polaren Vorhersagen

Ein "Wetterbericht" für die Arktis

Ob es in den kommenden Tagen am Nordpol schneit oder die Sonne scheint, ist ungewiss. Denn der Wetterbericht für die Arktis ist weitaus weniger verlässlich als für andere Orte auf der Erde. Dort sendet ein dichtes Netz automatischer Wetterstationen regelmäßig Echtzeitwerte von Luftdruck, Temperatur und Windrichtung an die weltweit verteilten Wetterdienste. An den Polen herrscht jedoch weitgehend Daten-Leere. Das möchte eine internationale Forschungsinitiative unter Leitung des AWI ändern und ruft dafür das Jahr der Polaren Vorhersagen ins Leben, welches von Mitte 2017 bis Mitte 2019 geht. 

Bremerhaven ist von der Arktis nicht sehr viel weiter entfernt als vom Mittelmeer. Wenig überraschend also, dass das Wetter am Nordpol auch auf unsere Witterung in Deutschland Auswirkungen hat. So vermuten Forscher beispielsweise, dass die Erwärmung der polaren Luftmassen und der Rückgang der Eisbedeckung im Arktischen Meer aktuell für einen Wandel im weltweiten Wetter- und Klimageschehen sorgen: Während Veränderungen der polaren Atmosphäre kältere Winter in Nordamerika, Europa oder Ostasien verursachen, sind sommerliche Dürren und Hitzeperioden in Nordamerika ebenfalls bald keine Seltenheit mehr.

 

Der Klimawandel hat Folgen für die Arktis

Steigende Temperaturen und das Schrumpfen der Meereisdecke verunsichern zudem die indigenen Bewohner der Arktis, die sich bisher auf ihr traditionelles Vorhersagewissen verlassen konnten. Vor allem aber ermöglicht der Klimaumschwung die zunehmende Nutzung der Arktis als ökonomischen Raum. In Zukunft werden die Polargebiete infolge der Veränderungen im Weltklima stärker frequentiert. Denn durch das Abschmelzen des sommerlichen Meereises wird der Schiffsverkehr vor allem in der Arktis in den nächsten Jahren deutlich zunehmen. Speditionen nutzen im Sommer die Abkürzung durch die Arktis für ihre Transporte, und Tourismusunternehmen ermöglichen mit einer Schiffsreise in die Antarktis mehr und mehr Urlaubern den Herzenswunsch, einmal im Leben einer trötenden Pinguinkolonie gegenüber zu stehen. Um den bisher noch weitgehend unberührten polaren Naturraum vor möglichen Schiffsunglücken und Ölkatastrophen zu bewahren, sind jedoch verlässliche Vorhersagen der kurz- und mittelfristigen Wetterentwicklung und Meereissituation notwendig.

 

Wetterstationen: Die Pole gingen bisher leer aus

Gleichwohl können Wetter- und Meereisbedingungen in den zentralen Gebieten von Arktis und Antarktis bisher nur ungenau vorhergesagt werden. Das liegt zum einen an ihrer Lage – weit entfernt von dicht besiedelten Lebensräumen, wo sich die Wetterbeobachtung seit langem historisch entwickelt hat. Das Netz der automatischen Wetterstationen in den bewohnten Regionen der Erde wurde seit Beginn des 20. Jahrhunderts deutlich ausgebaut, die Polargebiete, in denen sechs Monate im Jahr Dunkelheit herrscht und der Betrieb automatischer Wetterstationen mit einem hohen technischen Aufwand verbunden ist, gingen dabei aber lange leer aus. Zwar wurden erste Wetterstationen in der Arktis bereits während des ersten Internationalen Polarjahres 1882–1883 errichtet und die ersten automatischen Wetterfunkgeräte und Wetterbojen in den 1940er Jahren installiert, trotzdem reichen die bisherigen Messstationen bis heute nicht aus, um verlässliche Aussagen über das Wetter an den Polen zu treffen.

Ein Wissenschaftsjahr der Polaren Vorhersagen 

Um die Lücken in den Vorhersagenkapazitäten für die Polargebiete zu schließen, hat die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) im Jahr 2013 ein Langzeitprojekt zur Verbesserung der Vorhersagen in den Polargebieten (das sogenannte Polar Prediction Project) ins Leben gerufen. In diesem Projekt arbeiten internationale Wissenschaftler aus unterschiedlichsten Forschungsgebieten mit den operationellen Vorhersagezentren zusammen. Von Mitte 2017 bis Mitte 2019 findet das Jahr der Polaren Vorhersagen (engl. Year of Polar Prediction) statt. In diesem Zeitraum finden vor allem in beiden nördlichen und südlichen Sommerperioden viele Messkampagnen gleichzeitig in der Arktis und Antarktis statt, um die Zahl der Beobachtungen verschiedener Umweltfaktoren zu erhöhen und daraus genauere Modellberechnungen sowie Wetter- und Meereis-Vorhersagen zu entwickeln. Denn zur Konzeption von verlässlichen Wetter- und Klimavorhersagemodellen müssen sehr viele Messpunkte von Wetter, Meereis, Ozeanbedingungen und Verhältnissen auf dem Land gesammelt werden. Diese werden mit den Berechnungen, aus denen später ein Wetterbericht hervorgeht, verglichen, um sicher zu gehen, dass die Modelle tatsächlich verlässliche Prognosen liefern.

 

Das AWI koordiniert Radiosonden-Messungen in den Polargebieten  

Für das Jahr der Polaren Vorhersagen spielt das Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven eine zentrale Rolle, denn von hier aus koordiniert das Internationale Koordinationsbüro für Polare Vorhersagen die Planung und Organisation der zweijährigen Initiative. Unter anderem werden während des Year of Polar Prediction im Winter und Sommer 2018 auf arktischen Forschungsstationen und -schiffen bis zu vier Radiosonden täglich in den Himmel geschickt. Radiosonden sind Messinstrumente, die mit Hilfe eines Gasballons bis zu 35 km aufsteigen und dabei Luftdruck, Lufttemperatur, Luftfeuchte, den Wind und viele weitere Parameter der Atmosphäre erfassen. Diese Messungen werden, ebenso wie die Daten, die von automatischen Wetterstationen und von Wasser- und Eisdriftbojen aufgezeichnet werden, zeitgleich in das Globale Telekommunikationssystem (GTS) eingespeist, wo sie den Wissenschaftlern und Wetterzentren zur Entwicklung ihrer Wettermodelle und -vorhersagen zur Verfügung stehen. Damit wird das Jahr der Polaren Vorhersagen einen wesentlichen Beitrag nicht nur zur Verbesserung von Wetter- und Klimamodellen in den hohen Breiten, sondern auch darüber hinaus leisten. Denn ob nun unterwegs in den Polargebieten oder in den Tropen – verlässliche Vorhersagen sind überall dort unentbehrlich, wo Menschen leben, arbeiten oder auch zur trötenden Pinguinkolonie in die Antarktis reisen.

Kirstin Werner