Stets die richtige Maschenweite

Für ihre Berechnungen teilen Klimamodellierer die Erde in ein Schachbrett­muster ein. Je kleiner die ­Felder dieses Gitternetzes sind, desto höher ist die Auflösung des Klimamodells – aber leider auch der Rechenaufwand. ­Mathematiker des AWI können ­den Globus jetzt mit einem Netz überziehen, dessen Maschenweite sich gezielt einstellen lässt. Damit lassen sich besonders interessante ­Regionen genauer auflösen, ohne dass sich der Rechenaufwand wesentlich erhöht. 

Am Anfang ist das Gitter. Ganz gleich, ob man herausfinden will, wie stark sich die Erde durch den Klimawandel aufheizt, ob sich der Golfstrom abschwächen wird oder ob das arktische Meereis künftig im Sommer ganz verschwindet. Ohne Gitter geht so gut wie gar nichts. Zumindest nicht bei Klimamodellierern, die mit mächtigen Computerprogrammen versuchen, die Zukunft der Erde vorherzusehen. Denn die Klima- und Wetterphänomene auf der Erde sind so komplex, dass man sie nur häppchenweise analysieren kann. Die ­Modellierer überziehen den Globus deshalb mit einer Art mathematischem Netz aus quadratischen Maschen – den Gitterboxen. Bei weltweiten Klimamodellen hat so eine Gitterbox in der Regel eine Kantenlänge von etwa 100 Kilometern. So kommen für den ganzen Globus Tausende einzelner Gitterboxen zusammen. Und für jede Gitterbox berechnet das Klimamodell etliche physikalische Größen wie die Temperatur oder die Strahlungsleistung der Sonne – mit Formeln, die zum Beispiel die Strömung des Windes zwischen Hoch- und Tiefdruckgebieten beschreiben. Millio­nen einzelner Schritte sind nötig, um alle Gitterboxen durchzurechnen. Kein Wunder, dass Klimamodelle die Kraft von Großrechnern benötigen. Und selbst diese stoßen heute an ihre Grenzen.

Eine Auflösung von 100 Kilometer ist zu grob

Dr. Sergey Danilov weiß warum. „Eine Auflösung von 100 Kilometern und mehr ist in vielen Fällen zu grob, um die Klima­phänomene im Detail zu erfassen“, sagt er. Denn auf einer Strecke von 100 Kilometern kann es recht starke klima­tische Unterschiede geben. Das zeigt zum Beispiel der Harz: Der Westharz ist feucht, weil sich dort die Wolken abregnen. Der nur etwa 50 Kilometer entfernte Ostharz ist eher trocken, weil er im Windschatten des Mittelgebirges liegt und nur wenig Regen abbekommt. Eine Gitterbox von 100 Kilometern Breite kann solche Unterschiede gar nicht auflösen. Sergey Danilov nennt noch ein anderes Beispiel: Viele Klimamodelle haben Probleme damit, den Zugweg des Golfstroms naturgetreu nachzubilden. Der Golfstrom entspringt im Golf von Mexiko, wandert an der Küste Floridas gen Norden und zweigt dann nach Osten Richtung Europa ab. Viele Modelle aber können dieses Abbiegen nicht richtig darstellen, bei ihnen bewegt sich der Strom viel zu weit nach Norden. „Der Grund dafür ist, dass es im Ursprungsgebiet des Golfstroms viele kreisförmige Strömungen und Wirbel gibt, sogenannte Eddies, in ­denen sich Wassermassen aneinander vorbeischieben oder mischen“, sagt Sergey Danilov. „Grobe Gitternetze können diese Phänomene nicht ausreichend genau darstellen.“ Ideal wäre ein globales Gitternetz mit einer Maschenweite von nur zehn Kilometern oder weniger. Damit würde sich die Zahl der Einzelrechnungen aber potenzieren. Selbst für Klimasimulationen, die nur wenige Jahre überspannen, würde ein Großrechner Wochen benötigen. Das bremst die Forschung aus. Zudem müssen die Wissenschaftler für ihre Kalkulationen Zeiten auf Großrechenanlagen buchen, und die sind teuer.

Flexibel wie ein Einkaufsnetz

Ein extrem feinmaschiges Gitter von globaler Dimension bleibt damit bis auf weiteres ein frommer Wunsch. Sergey Danilov hat deshalb einen Mittelweg gewählt. Er hat mathematische Methoden entwickelt, mit denen er Gitternetze weben kann, die an verschiedenen Stellen unterschiedliche Maschenweiten haben. Damit kann er regional eine höhere Auflösung einstellen, ohne gleich das ganze globale Netz enger stricken zu müssen. Dieser Ansatz ähnelt einem gefüllten Einkaufsnetz. Dort, wo ein schwerer Gegenstand wie zum Beispiel eine Melone das Netz dehnt, weiten sich die Maschen. Dort wo die leichte Chipstüte ruht, liegen die Maschen enger. Für das Klimamodell und das globale Gitternetz heißt das, dass Sergey Danilov besonders komplexe Bereiche wie den Golfstrom mit einem feineren Gitternetz überziehen kann, während der übrige Atlantik von gröberen Maschen überzogen ist.

Ein Gitter für den ganzen Ozean

Für ein derart flexibles Netz musste sich Sergey Danilov von den klassischen quadratischen Gitterboxen verabschieden. „Man kann in einem Gitternetz nur schwer quadratische Gitterboxen mit verschiedenen Größen beziehungsweise Auflösungen nebeneinander legen“, sagt der AWI-Mathematiker, „weil dabei harte Übergänge entstehen, die geometrisch schwierig zu fassen sind und bei der Berechnung der Klimaparameter keine fließenden Übergänge erlauben.“ Er nutzt daher ein Netzwerk, das aus kleinen Dreiecken besteht, die sich beliebig deformieren lassen und damit sanfte Übergänge wie beim Einkaufsnetz ermöglichen. Mathematiker bezeichnen solche Netze, die mit Dreiecken oder anderen geometrischen Figuren arbeiten, als „unstrukturierte Gitter“. Im Hinblick auf das Meer wurden sie erstmals in den 1980er-Jahren von niederländischen Küsteningenieuren eingesetzt, die die Strömungen entlang der Küste, an Deichen, Schleusen oder Wehren ermitteln wollten. „Wir sind die ersten, die unstrukturierte Gitter auf den gesamten Ozean übertragen, um an gewünschten Stellen Klimaprozesse oder verwandte Phänomen zu modellieren“, sagt Sergey Danilov. Sergey Danilov führt selbst nur selten umfangreiche Klimamodellierungen durch. Er ist vielmehr der mathematische Kopf, der seinen Kollegen das Werkzeug zur Verfügung stellt; dem Klimamodellierer Dr. Helge Gößling zum Beispiel: „Wir arbeiten seit einiger Zeit daran, die Veränderung der Meereisbedeckung in der Arktis über Wochen oder gar bis zu Jahrzehnten vorherzusagen, dabei spielen regionale Phänomene wie der Warmwassereinstrom durch die Framstraße zwischen Grönland und Spitzbergen eine Rolle.“ Und diese will Helge Gößling künftig mit den unstrukturierten Gittern genauer modellieren.

Fast so schnell wie klassische Modelle

Die Mathematiker um Sergey Danilov sind nach mehreren Jahren der Entwicklung auf einem vielversprechenden Weg. Die Berechnung der unstrukturierten Gitter dauert zwar noch etwas länger als beim klassischen Schachbrettmuster. Doch sie holen auf. Sie verbessern ihre Algorithmen laufend, sodass die Rechenzeit bei Standard-Klimasimulationen nur noch etwa doppelt so lang ist wie bei den etablierten Verfahren. „Das ist bemerkenswert, denn noch vor wenigen Jahren brauchten wir ein Viel­faches der Zeit“, sagt Sergey Danilov. Damit mausern sich die unstrukturierten Gitter zur echten Alternative. Die Forscher konnten bereits zeigen, dass sie den Golfstrom sehr gut simulieren können. Und auch die Veränderung der Wasseroberflächen-Temperaturen im Südpolarmeer können die unstrukturierten Gitter sehr realitätsnah darstellen. So stimmen die neusten Berechnungen mit den Werten realer Messungen erstaunlich gut überein.

Ein Werkzeug für die Welt

Derzeit kommt dieses ungewöhnliche Modell mit dem Namen FESOM bereits beim weltweiten Vergleich der Klimarechenmodelle zum Einsatz – dem Coupled Model Intercomparison Project – dessen Ergebnisse in den nächsten Bericht des Weltklimarats einfließen. Sergey Danilov, Helge Gößling und weitere AWI-Kollegen sind gespannt, inwieweit sich ihre Rechnungen mit denen anderer Modelle decken. So könnte sich herausstellen, dass die realistischere Darstellung wichtiger Meeresregionen mithilfe der unstrukturierten Gitter ganz neue Aussagen über die Zukunft liefern. Aktuell wollen die AWI-Wissenschaftler ihr Simulationswerkzeug über das Internet auch anderen Forschern zur Verfügung stellen – als eine Art Strickmuster, mit dem Klimamodellierer weltweit ihre Gitternetze neu weben können.  

Klimamagazin

Dieser Text erschien im AWI-Klimamagazin. Eine Übersicht aller Themen sowie die Möglichkeit für einen pdf-Download finden Sie im Fachbereich Klimawissenschaften