Wenn zwei sich streiten...

Der September ist für Monica Ionita und Frank ­Kauker in jedem Jahr die Zeit der Entscheidung. Dann nämlich steht fest, wer von beiden die Sommer-Ausdehnung des arktischen Meereises für diesen Monat am ­treffendsten vorhergesagt hat. Ein Methodenwettstreit, der die Forschung vorantreibt!

Klimamagazin

Dieser Text erschien im AWI-Klimamagazin. Eine Übersicht aller Themen sowie die Möglichkeit für einen pdf-Download finden Sie im Fachbereich Klimawissenschaften

Dr. Frank Kauker

Vorhersagen mit einem Modell aus einem Guss

Meereismodellierer des AWI beteiligen sich seit dem Jahr 2008 an dem internationalen Vorhersagewettbewerb zum arktischen Meereisminimum. Dieser Wettbewerb beginnt stets im Juni, wenn der Sommer in der Arktis Einzug hält und die Eisdecke zu schmelzen beginnt. Als Meereisminimum bezeichnen wir die Fläche, auf die das Meereis schrumpft, bevor Ende September der Winter zurückkehrt und neues Eis gefriert. Ich arbeite seit zehn Jahren bei meiner Vorhersage mit einem dynamischen Klimamodell für die Arktis. Es ist ein Modell aus einem Guss und berechnet mithilfe vieler mathematischer Gleichungen die physikalischen Wechselwirkungen zwischen dem Meereis und dem Ozean in dieser Region. Dieses Modell füttere ich am Anfang meiner Arbeit mit den aktuellsten Meereisdickendaten des CryoSat-2-Satelliten und lasse es dann in die Zukunft rechnen. Wir AWI-Meereismodellierer sind im Moment die einzige Forschergruppe weltweit, die CryoSat-2-Daten für diese Vorhersage nutzen. Wir wissen, dass wir diesen Ausgangsdaten trauen können. Schließlich überprüfen unsere Kollegen sie jedes Frühjahr aufs Neue auf unseren Flugzeug- und Schiffskampagnen.

Als ich vor fast zehn Jahren meine erste Meereisvorhersage gemacht habe, hielt ich es eigentlich für unmöglich schon im Juni oder Juli, treffende Prognosen zum September-­Minimum abzugeben, weil das Sommerwetter eine so entscheidende Rolle bei der Meereisentwicklung spielt. Und Wetter können wir bekanntlich nur für ein paar Tage vorhersagen. Heute weiß ich, dass wir die Vorhersagekraft unseres Modells verbessern, wenn es uns gelingt, den Anfangszustand des Modells gut zu bestimmen. Eine gewisse Ungenauigkeit aber bleibt doch – das Sommer­wetter hat natürlich einen Einfluss. Deshalb diskutieren Monica und ich unsere Ergebnisse, bevor jeder seine Vorhersage einreicht. Ja, ihre Methode unterscheidet sich grundlegend von meiner Arbeitsweise – es gibt praktisch keine Überlappung. Aber Monicas Ansatz erlaubt mir einen zweiten Blick auf die Meereisentwicklung. Wir erhalten einvollständigeres Bild des Gesamtgeschehens, wenn wir unsere Erkenntnisse aus beiden Ansätzen verknüpfen. 

Dr. Monica Ionita

Statistik auf der Basis vieler Klimaparameter

Im Gegensatz zu den Meereismodellierern brauche ich für meine Vorhersage kein Klimamodell. Stattdessen nutze ich Klimaparameter wie die Lufttemperatur, die Meeresober­flächentemperatur und den Wärmegehalt des Ozeans. Diese Daten werden durch Satelliten erhoben. Ich verwende sie in statistischen Rechenverfahren. Mit ihrer ­Hilfe ist es mir zum Beispiel schon gelungen, die Wasserstände europäischer Flüsse genau vorherzusagen, Trockenzeiten und Hochwasser inbegriffen. Es reizt mich, auszutesten, ob ich mit demselben Verfahren auch eine treffende Vorhersage für die Meereisentwicklung in der Arktis und der Antarktis abgeben kann. Denn für beide Regionen brauchen wir, ­angesichts des zunehmenden Schiffsverkehrs, gute ­Vorhersagesysteme. Für meine Meereisvorhersage des arktischen September-Minimums schaue ich nicht auf die Arktis als Ganzes. Stattdessen konzentriere ich mich auf jene Regionen, die eine entscheidende Rolle bei der Meereisbildung spielen. Auf ihrer Basis mache ich dann die statistischen Berechnungen.

In den vergangenen zwei Jahren konnten wir sowohl mit meinem statistischen Verfahren als auch mit dem Modellierungsansatz Vorhersagen machen, die das finale Meereisminimum ziemlich gut beschrieben haben. Beide Vorhersagemethoden zeigen also in dieselbe Richtung, was uns Wissenschaftlern Vertrauen in unsere Ergebnisse und Methoden gibt. Mein Verfahren kann helfen, jene Regionen zu identifizieren, die für die Meereisentwicklung von großer Bedeutung sind. Die Modellierer können diesen Gebieten dann mehr Aufmerksamkeit bei der Modellierung schenken. Frank und ich kommen aus verschiedenen Disziplinen der Klimaforschung. Er ist ein Meereis-Experte, ich bin Klimatologin. Wir beide sind aber auch Physiker und verstehen uns, wenn wir über unsere Methoden und Ergebnisse sprechen. Wenn zwei Kollegen mit unterschiedlichem Hintergrund zusammenarbeiten, ist das immer von Vorteil und bringt die Wissenschaft einen Schritt voran.