PS124 - Wochenbericht Nr. 8 | 22. - 28. März 2021

Unsere Langzeit-Meeresobservatorien

[29. März 2021] 

Das südliche Weddellmeer beheimatet den Filchner-Ronne-Eisschelf (FRIS). FRIS ist der größte (per Volumen) schwimmende Eisschelf der Erde und deshalb ein wichtiger Bestandteil des Antarktischen Eisschildes und somit enorm wichtig für das globale Klimasystem und den Meeresspiegel.

Wie bereits in vorherigen Berichten erwähnt, liegt eine der zentralen Schwerpunkte von PS124 auf dem Verständnis der regionalen Ozeanzirkulation, welche einige unterschiedliche Aspekte beinhaltet. Zum einen möchten wir verstehen, wie, wann und wo warme Wassermassen aus dem tiefen Weddellmeer in die Nähe des Schelfeises gelangen können, da warmes Wasser zu erhöhten basalen Eisschmelzraten führen können.

Die Schmelzraten unter FRIS sind gegenwärtig noch moderat und um zukünftige Szenarien realistisch vorhersagen zu können, müssen wir die möglichen Antriebsmechanismen besser verstehen können. Vorherige Berichte sind ja bereits auf die schiffsbasierten Messtechniken eingegangen, mit denen man die wichtigsten Parameter des Ozeans und des Meeresbodens vermessen kann. Aber Achtung! Mit diesen Methoden erhält man wertvolle Schnappschüsse der jetzigen Bedingungen. Allerdings, ähnlich wie mit Wind und Wetter, ändern sich auch die Ozeanbedingungen, nur auf etwas längeren Zeitskalen. Um die Variabilität aufzuzeichnen und die Ursachen von Schwankungen in Strömungen und Temperatur und Salzgehalt verstehen zu können, bedarf es langfristige Messungen von mehreren Jahren. Dieses geschieht mit verankerten Meeresobservatorien, bei uns kurz „Verankerung“ genannt.

Eine Verankerung besteht aus einem langen Seil, an welches wir Instrumente zur Messung von den wichtigsten Ozeanparametern befestigen, wie z.B. Strömungen, Temperatur oder Salzgehalt (Fig.1). Am oberen Ende des Seils befinden sich Auftriebskörper (Fig.2), welche das Seil an die Oberfläche ziehen wollen. Seil und Auftrieb wiederum werden am Meeresboden von einem tonnenschweren Gewicht (alte Eisenbahnräder) an Ort und Stelle gehalten. So ein Verankerungsseil steht quasi auf dem Meeresboden und erstreckt sich von einigen Hundert Metern bis zu Kilometern in die Wassersäule, je nach Einsatzgebiet und Fragestellungen.

Das Verankerungsseil ist mit dem Bodengewicht über einen akustischen Auslöser verbunden (Fig.1). Nach Empfang eines akustischen Signals vom Schiff löst der Haken des Auslösers die Verbindung zum Anker. Die Auftriebskörper können dann das gesamte Packet an die Oberfläche steigen lassen, wo die Expeditionscrew schon sehnsüchtig auf die Aufnahme wartet. Der Moment vor dem Auftauchen einer Verankerung ist oftmals spannend, besonders wenn die See rau oder teils eisbedeckt ist. Die erste Sichtung wird oftmals mit einer Flasche Sekt belohnt, als kleine Extramotivation die Brille zu putzen, Karotten zu essen und fokussiert auf das Meer zu gucken. Die meisten der von uns aufgenommenen Verankerungen waren die letzten 3 bis 4 Jahre im Wasser und enthalten einen großen Datenschatz auf den Instrumenten, den wir nach erfolgter Aufnahme an Bord herunterladen konnten. Insgesamt haben wir während der PS124 16 Verankerungen aufgenommen und 22 Verankerungen neu ausgelegt zusammen mit unseren Kooperationspartnern aus Frankreich und Norwegen, die wir mit uns an Bord haben.

Verankerungsbewegungen bedürfen einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen der Schiffsführung auf der Brücke, der Decksbesatzung und der wissenschaftlichen Besatzung (Fig.3), da hierbei schweres Gerät und schwebende Lasten unter zum Teil schwierigen Bedingungen bewegt werden müssen. Die Verankerungsaktionen auf dieser Reise waren ausnehmend erfolgreich und bieten ein schönes Beispiel, was alles durch Teamarbeit möglich gemacht wird. Polarstern mit ihrem Kapitän und Besatzung verfügen inzwischen über jahrzehntelange Erfahrung mit Verankerungen in polaren Gewässern und ist eines der erfahrensten Schiffe für diese Art von Operation.

Die 22 auf PS124 neu ausgelegten Verankerungen verteilen sich auf verschiedene Fokusregionen, um alle wichtigen Bestandteile des regionalen Strömungssystems abzudecken. Die nördlichsten Verankerungen am Kontinentalhang, wo ein Frontensystem das kalte Schelfwasser vom warmen Wasser des tiefen Weddellmeeres separiert und den südwärtigen Einstrom vom warmen Wasser reguliert (2 Verankerungen, Uni Bergen, Norwegen). Ein Schnitt bestehend aus 7 Verankerungen (NORCE, Norwegen und LOCEAN, Frankreich) ist auf der 600 Meter tiefen Schwelle platziert, welche den 1000 m tiefen Filchnertrog vom tiefen Weddellmeer trennt. Die Ostseite dieser Schwelle ist eine Einstromregion von modifiziertem warmen Tiefenwasser (mWDW), während die Westseite vorwiegend von einem sehr kalten nordwärtigen Ausstrom durchquert wird. Um die -1°C „warm“, ist das mWDW immer noch deutlich wärmer als die gefrierpunktnahen Gewässer, die in der Region überwiegen und kann bei Kontakt mit FRIS zu deutlich höheren Schmelzraten führen. Der südwärtige Warmwassereinstrom auf der Ostseite des Filchnertrogs bei 76°S ist einer der AWI-Schwerpunkte der Expedition und wird seit 2013 mit Verankerungen beobachtet. Dieser Einstrom tritt saisonal auf und dauert normalerweise ein paar Monate an. Modellstudien projizieren allerdings, dass dieser Einstrom in zukünftigen Dekaden zunehmen und somit zu stark erhöhten Schmelzraten unter FRIS führen könnte. Die meisten der ausgebrachten „herkömmlichen“ Verankerungen sind mit Strömungsmessern und Temperatur und Salzgehaltsrekordern bestückt. Zusätzlich haben wir spezielle Verankerungen ausgebracht, wie z.B. 3 Schallquellenverankerungen, die der Positionsbestimmung von autonomen Floats dienen, die unter dem Eis die Wassermassencharakteristiken vermessen. Diese sind zusätzlich mit Schallrekordern bestückt, die zu Studien von marinen Meeressäugern genutzt werden, wie z.B. von Robben und Walen. Die letzte Verankerung von PS124 wurde mit einer Reihe von biogeochemischen Sensoren und Sedimentfallen bestückt, um die verschiedenen Beiträge zum Kohlenstoffbudget im Ozean zu quantifizieren. Diese Studie ist eine fachübergreifende Initiative von AWI-Wissenschaftlern und unterstreicht einmal mehr den interdisziplinären Anspruch dieser Expedition. Insgesamt haben wir hier sehr viel geschafft und kommen hoffentlich bald nach Hause, im Gepäck einen reichen Schatz an Erfahrungen und Daten, mit denen wir verbesserte Einblicke in diese für den globalen Ozean so wichtige Region gewinnen.

 

PS124 verabschiedet sich von allen Leserinnen und Lesern, hofft die Daheimgebliebenen umfangreich über unsere spannende Arbeit und das Leben an Bord informiert zu haben und freut sich, in einer Woche endlich wieder bei den Angehörigen zu sein.

Hartmut H. Hellmer (Fahrtleiter)

Kontakt

Wissenschaft

Hartmut Hellmer
+49(471)4831-1794
Hartmut.Hellmer@awi.de

Wissenschaftliche Koordination

Ingo Schewe
+49(471)4831-1709
Ingo Schewe

Assistenz

Sanne Bochert
+49(471)4831-1859
Sanne Bochert