PS126 - Wochenbericht Nr. 2 | 31.05. - 07.06.2021

Mit Hoch-Technologie in die tiefe See

[07. Juni 2021] 

Seit gut einer Woche befinden wir uns nun im eigentlichen Untersuchungsgebiet dieser Expedition, dem LTER (Long-Term Ecological Research) Observatorium HAUSGARTEN in der Framstraße zwischen Grönland und dem Svalbard Archipel.

Neben vergleichsweise einfachen, „traditionellen“ Geräten zur Erforschung des tiefen Ozeans, wie z.B. Wasserschöpfern, Planktonnetzen, Bodengreifern und Verankerungsketten, kommen bei unseren Langzeituntersuchungen auch sehr komplexe und hochtechnische Großgeräte zum Einsatz. Hierzu gehören ein autonomes Unterwasserfahrzeug (Autonomous Underwater Vehicle, AUV), stationäre Forschungsplattformen, sogenannte Bottom-Lander sowie autonom am Meeresboden agierende Raupenfahrzeug, sogenannte Benthic Crawler.

Das von uns seit vielen Jahren betriebene, bis zu 3000 m Wassertiefe einsetzbare und 5 m lange autonome Unterwasserfahrzeug PAUL wird auf der aktuellen Expedition vornehmlich genutzt, um den Tiefseeboden des HAUSGARTENs hochaufgelöst zu kartieren. Hierzu ist das Fahrzeug mit einer speziellen, senkrecht auf den Meeresgrund schauenden Kamera sowie einem Sonarsystem ausgerüstet, mit dem die Bodentopographie und größere Objekte auf dem Meeresboden erfasst werden können. PAUL‘s Kamerasystem liefert uns bei jedem Tauchgang tausende von hochaufgelösten Fotographien, mit denen wir u.a. die Besiedlungsdichte des Tiefseebodens durch größere Organismen abschätzen können und eine Vorstellung über die Biodiversität am Boden des HAUSGARTENs bekommen können. Ein Vergleich mit Daten aus den letzten 20 Jahren erlaubt uns, natürliche und anthropogen verursachte Veränderungen in den Lebensgemeinschaften des Tiefseebodens abschätzen zu können. Im Vergleich zum Kamerasystem ist das Sonarsystem des AUV in der Lage, sehr große Flächen zu erfassen. Es wird u.a. eingesetzt, um uns ein „Bild“ von unserem eigenen „Fußabdruck“ zu verschaffen, den wir zweifellos nach über zwei Dekaden intensiver Forschungstätigkeiten in unserem HAUSGARTEN hinterlassen haben. Dieses Hintergrundwissen erlaubt uns unsere aktuellen Daten besser einschätzen zu können.

Eine ganze Flotte von „freifallenden“ Systemen (Bottom-Landern) wird von uns eingesetzt, um am Meeresboden verschiedene Messungen und Experimente durchzuführen und um Organismen zu sammeln. Bottom-Lander bestehen aus einem Rahmengestell aus Stahl, Gewichtsplatten, die diese Geräte in die Tiefe hinabziehen und Auftriebskörpern, die nach dem Abwurf der Gewichte dafür sorgen, dass das Gestell wieder an die Meeresoberfläche aufsteigt. Je nach wissenschaftlicher Fragestellung können Bottom-Lander mit einer Vielzahl von Mess- und Registriergeräten ausgerüstet werden. Auf der aktuellen Reise setzen wir in unseren Bottom-Landern profilierende Mikrosensoren ein, um biologische und biochemische Remineralisierungsprozesse an der Sediment-Wasser-Grenzschicht zu quantifizieren, um über dem Meeresboden driftende Larvenstadien von Tiefseetieren mit Pumpsystemen zu sammeln und deren Verbreitungsmechanismen zu untersuchen, aasfressende Meeresbodenbewohner anzulocken und einzufangen, und um experimentelle Arbeiten am Tiefseeboden durchführen zu können. Im Mittelpunkt steht dabei ein Experiment, mit dem wir, im Rahmen eines großen Europäischen Projekts (Integrated Arctic Observation System, INTAROS), den Einfluss der fortschreitenden Ozeanversauerung auf kleinere Bodenbewohner die in großer Zahl auf und im Tiefseeboden leben, das sogenannte Meiobenthos, zu ermitteln. Derartige Untersuchungen wurden bislang noch nie in großen Wassertiefen (>1000 m) durchgeführt und stellen deshalb unsere Techniker und Ingenieure vor große technische Herausforderungen – die sie allerdings zweifellos meistern werden.

Mit großer Spannung erwarten wir die Bergung zweier autonomer Tiefsee-Raupenfahrzeuge (Benthic Crawler), die vor zwei Jahren bei ca. 900 m vor Nordost-Grönland und bei 2500 m Wassertiefe westlich von Spitzbergen ausgesetzt wurden. Beide Crawler, unser TRAMPER in der westlichen und unser NOMAD in der östlichen Framstraße, sind mit Mikroprofilern ausgerüstet, die einmal pro Woche Sauerstoffprofile am Meeresboden messen, anschließend eine kurze Strecke fahren, um dann eine Woche später die nächste Messung vorzunehmen usw. usw. usw. Die auf diese Weise kontinuierlich gewonnenen Profile geben uns Aufschluss über den jahreszeitlichen Verlauf von Remineralisierungsraten im Oberflächensediment. NOMAD verfügt darüber hinaus über Inkubationskammern, die regelmäßig auf das Sediment herabgelassen werden, um die Sauerstoffzehrung durch kleinste sedimentbewohnende Organismen zu ermitteln sowie über einen speziellen Scanner, mit dem die Nahrungsverfügbarkeit auf der Meeresbodenoberfläche abgeschätzt werden kann. Ein erster Versuch unseren „Nomaden“ in der östlichen Framstraße abzubergen ist leider fehlgeschlagen. Am kommenden Mittwoch werden wir einen weiteren Versuch starten und wir sind zuversichtlich, dass wir dann Erfolg haben werden. Beide Crawler sollen noch während der Expedition überholt werden und für ein weiteres Jahr auf ihre Reise durch die kalte und dunkle arktische Tiefsee geschickt werden.

In den nächsten Wochenberichten soll dann die Wissenschaft im Vordergrund stehen. Wir werden zunächst ausführlich über die Arbeiten unserer Phytooptiker, Biogeochemiker, und Planktologen berichten, die überwiegend in der Wassersäule arbeiten.

An Bord sind alle wohlauf und guter Dinge!

Mit den besten Grüßen aller Fahrtteilnehmer,

Thomas Soltwedel

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