Der erste Tag

Dies ist mein Zuhause für die nächsten 3 Wochen, ist das nicht fantastisch? Der Storch auf Stelzen ist die einzige deutsche Station in der Antarktis und somit einmalig. Und ich darf hier sein! Kneif mich jemand. Aus der Ferne wirkt die Forschungsbasis recht klein, in Wirklichkeit ist sie aber sehr groß. Jetzt im Sommer ist sie voll bis unters Dach. Wir sind so an die vierzig Neumayerlinge. Zwei ÜWI-Teams und genauso viele Sommergäste, zu denen auch ich und die beiden Mädels zählen. Die anderen Sommergäste sind Gastwissenschaftler, Fachleute für Reparatur- und Wartungsarbeiten und ein kanadisches Pilotenteam. In Gestalt von Jungs und Mädels.

Es war ein herrlicher Tag! Wir spazierstapften durch die größte Schneewüste, die ich in meinem wohlbemerkt kurzem Leben bis jetzt gesehen habe. Weit und breit kein Haus, kein Gebäude, keine Straßen, Autos, U-Bahnen, S-Bahnen, keine bellenden Hunde, keine fauchenden Katzen, keine Jogger und... hier kommt das wichtigste, keine nervigen klingelnden Fahrradfahrer. Klingelnde Fahrradfahrer, wenn ihr das hier lest: es ist nicht nett, friedliche, langsamer gehende Passanten und Weltenbürger aus dem Weg zu klingeln. Und in einer großen Stadt, aus der ich komme, müssen sich so einige den Bürgersteig teilen, da geht das manchmal eben nicht so schnell. Wo war ich? Ach ja, Antarktis. Also: Eine solche Helligkeit und Stille habe ich noch nicht erlebt. Und dann diese Weite. So viel Platz nur für mich. Ich war wie im Rausch. Von der gut gelaunten Sonne angefeuert begann ich zu tanzen. Es war ein wahrlich feierlicher und erhabener Moment.

An meinem ersten Tag stand ganz schön viel an. Eine Sicherheitseinweisung, ein Stationsrundgang und, hier kommt mein persönliches Highlight, wir lernen wie man mit einem Motorrad auf Kufen, auch Ski-Doo genannt, fahren kann. Aber der Reihe nach: Zusammen mit den anderen Neuankömmlingen durchwanderten wir die Station und das Außengelände und lernten jede Menge über das sichere Zusammenleben und Arbeiten an der Station und diesem außergewöhnlichen Kontinent. Ich nenne euch jetzt drei Dinge, die ich während meines Besuchs auf der Station möglichst vermeiden werde: Kerzen anzünden, bei eingeschränkter Sicht, starkem Sturm, Drift oder Whiteout hinausstapfen und nicht weiter als 1,5 km von der Station entfernt herumzustiefeln. Und jetzt nenne ich euch drei Dinge, die ich während meines Besuchs auf der Station unbedingt machen möchte: ein Iglu bauen, ein Wettrennen mit dem Wind gewinnen und einen Schatz finden. Und bei all diesen Aktivitäten darf auf keinen Fall das Funk- und GPS Gerät fehlen, falls ich aus unerfindlichen Gründen in der Klemme stecke. Vielleicht helfen sie beim Schätze finden. Wer weiß?

Zwischen den Terminen nutzte ich die Gelegenheit, um erste Freundschaften zu schließen und um die Wissenschaftler, von denen hier ein ganzer Haufen ist, zu beschnuppern. Bisher hatte ich nur mit Theaterleuten zu tun, also mit Schauspielern, Bühnen- und Kostümbildern, Hutmachern und Schneidern. Das sind also meine ersten zwei Freunde. Links von mir steht Zoran von der Firma Lenderoth. Er ist hier um die Station mit nigelnagelneuen Fenstern zu versorgen. An meiner rechten Seite steht Lewin, ein neuer Ingenieur am AWI. Lewin wird in Zukunft die Wartungsarbeiten für das meteorologische Observatorium übernehmen. Er hat mir von automatischen Wetterstationen erzählt, die demnächst in der Gegend aufgebaut werden. Diese Stationen messen alles selbst und können ganz hervorragend dem Wetter trotzen. Sie nehmen auf, wie schnell der Wind saust und ob er geradeaus, nach links oder im Kreis tanzt. Die Station hat so eine Art Fühler, die einem sagen können, wie kalt oder warm es draußen ist. Und dann hat sie so eine Art Augen, die die Sonnenstrahlen erkennen können.

Ich kann meine Freude über das, was noch kommt kaum verbergen. In einer halben Stunde starten wir mit der Ski-Doo Einweisung! Ich übe schon mal im Trockenen. Die Jungs vom AWI sind schwer beeindruckt! Und auch ein klein wenig irritiert. Wahrscheinlich bin ich der erste Gustav "meiner Art", dem sie bisher begegnet sind.

Hm, was erklärt er da? Also: der Daumenknopf ist zum losfahren und wo ist die Hupe? Und wenn ich einen Purzelbaum mache, wie gebe ich bescheid, dass ich Hilfe brauche? Echt? Ich wedel dann wild mit den Armen? Also, immer fleißig in den Rückspiegel schauen. Und wo ist die Bremse?

Das Ski-Doo ist eines der schnellsten Fortbewegungsmittel hier, aber wenn die Wettersicht schlecht ist, sollte man lieber nicht fahren, meint Markus. Und vorsichtig über Sastrugis fahren. Was das is? Das habe ich erst hier gelernt, denn Sastrugis gibt es in Deutschland nicht. Das sind Spuren im Schnee, die vom Wind geformt werden.

Juhu, ich sause einmal im Kreis im Wettlauf mit meinem eigenen Schatten - am Ende steht es untentschieden. Ski-Doo fahren ist toll!

Puh, bin ich erledigt. So viele Eindrücke an einem Tag. Vielleicht studiere ich Naturwissenschaften und werde Wissenschaftler am AWI, dann kann ich immer herkommen und im Schnee spielen und in die Ferne blicken, so weit das Auge reicht. Die Landschaft ist mir jetzt schon ans Herz gewachsen.