Die Reise

Mein Name ist Gustav. Wo ich gerade bin? Das erratet ihr nie! An der Neumayer-Station III des Alfred-Wegener-Institutes. In der Antarktis! Ihr wollt wissen wie ich hierher gekommen bin? Das ist eine lange Geschichte. Soll ich von vorne beginnen? Ja?

Meine Schöpferin heißt Julia. Sie arbeitet am Theater und denkt sich die Bühnenbilder und Kostüme aus. Zuerst war ich eine Idee auf einem Blatt Papier. Dann ist mein Gesicht entstanden aus Draht, Pappe, Moosgummi und Farbe. Eine Schneiderin hat mir eine schöne gelbe Jacke genäht und einen Hut hab ich bekommen. Ich bin so etwas wie der Pinoccio. Der ist aus Holz gemacht und wenn er lügt, wächst seine Nase. Ich würde nicht sagen, dass ich lüge, aber ich erfinde gerne Geschichten. Ich bin ja auch nur entstanden als Teil einer Geschichte. Ich liebe Geschichten! Als alles fertig war, mein Gesicht, die Jacke, der Hut, begann das Tolle: eine Schauspielerin ist in mich hineingeschlüpft und plötzlich konnte ich mich bewegen und hüpfen und tanzen!

Mein Zuhause ist also das Theater. Nachdem mein großer Auftritt vorbei war, stand ich mit anderen Puppen und Masken in der Requisitenkammer. Das ist ein trockenes, aber eher dunkles Plätzchen. Ich fühlte mich dort ganz wohl, nur war mir furchtbar langweilig. Ich dachte oft an die Bühne und das Scheinwerferlicht und was das für ein toller Moment war als am Ende alle geklatscht und sich gefreut haben. Jetzt hing ich hier tagaus, tagein in der dunklen Kammer und immer wenn die Tür aufging, dachte ich: jetzt kommt jemand und holt mich hier raus, aber Pustekuchen! Keine Abenteuer mehr, keine Aufregung, kein Lampenfieber, keine klatschenden Hände, statt dessen: LANGEWEILE! Und dann passierte das Unglaubliche, die Tür ging auf und herein kam: die Antarktis! Naja, also herein kam Julia und erzählte von diesem Land, indem es unglaublich kalt ist und wo immer Schnee liegt. "Bist du dann lange weg"?, hab ich gefragt und "Wie weit weg ist das?" Sie sagte, dass die Antarktis unten am anderen Ende der Welt liegt, da wo der Südpol ist, dass sie ein Kontinent ist, der ganz von Eis bedeckt ist und dass ich mitkommen kann, wenn ich Lust habe. Zuerst war ich mir gar nicht so sicher: wenn es da so kalt ist ... ich bin doch für die Bühne gemacht, gibt es da auch Scheinwerfer? Aber dann fingen meine Füße an zu zucken, mein Herz begann zu hüpfen und in meinem Kopf brach ein freudiges Feuerwerk aus das sagte: ABENTEUER! ABENTEUER! Ja, ich komme mit!

So begann die Reise und mit der Reise kam - das Abenteuer! Zuerst flogen wir bis zum südlichsten Zipfel eines Kontinents der Afrika heißt in eine Stadt mit Namen Kapstadt. Auf dem Weg nach Kapstadt verlor ich ein Auge. Meine Nase war auch ein bisschen aufgeschürft. Wie schade, dass ich den Flug von Kapstadt in die Antarktis im Koffer verbrachte, wo ich doch so schrecklich neugierig bin und so gerne alles gesehen hätte. Ein bisschen aufgeregt war ich dennoch. Wir flogen mit einem russischen Flugzeug, einer Illjushin. Dieses Flugzeug ist für sehr kalte Orte gemacht. Etwa 5 Stunden waren wir unterwegs über ein großes Meer, das Südpolarmeer, entlang des 8. Längengrades immer weiter Richtung Süden. Ich lag in meinem dunklen Koffer und versuchte mir vorzustellen wie er wohl aussieht, dieser kalte Kontinent.Wenn ich zuhause auf der Nordhalbkugel Richtung Süden fliege, wird es immer wärmer, aber wir flogen jetzt in einen Süden, indem es immer kälter wurde, verrückt oder? Plötzlich wurde ich heftig hin- und hergeschüttelt und um meine Nase begann durch die Ritzen des Koffers eine steife Brise zu streichen. Wir waren gelandet. In der Antarktis. Auf Novolazarevskaya, kurz "Novo" genannt, einer russischen Station an der Antarktischen Küste. Auf Novo gibt es eine Landebahn aus Eis auf der Flugzeuge mit Rädern landen können. An der Neumayer-Station III kann man nur auf Skiern landen. Deshalb würden wir später mit einem kleineren Flugzeug weiterfliegen, das auch Kufen hat.

Hier auf Novo kam ich in die Krankenstation. Ach war das toll, als ich wieder sehen konnte! Nachdem ich repariert war, habe ich endlich auch Kinga richtig kennengelernt. Kinga arbeitet am Alfred-Wegener-Institut in der Abteilung Medien und Kommunikation. Sie ist die Ansprechpartnerin für die Kooperation "Wissenschaft und Kunst" zwischen dem Hanse-Wissenschaftskolleg in Delmenhorst und dem Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven und mitgekommen, um Julias Projekt zu begleiten. Julia möchte in einer theatralen Ausstellung über das Gedächtnis erzählen, das im Eis der Antarktis eingeschlossen ist. Sie hat mir erzählt, dass das Eis in der Antarktis sehr dick ist und sehr alt sein kann. Dass es wie ein Archiv ist, das Vergangenheit speichert. Die Wissenschaft kann aus dem uralten Eis Geschichten herauslesen. Geschichten darüber wie es früher auf unserem Planeten und in der Atmosphäre, die ihn umgibt, ausgesehen hat. Sogar Geschichten über die Zukunft, verrückt oder ?

Am Abend ging es schließlich weiter von Novo zur Neumayer-Station III. Unser kleines Flugzeug landete auf Skiern bei strahlender Mitternachtssonne. Wir waren angekommen! Soviel helle weiße Weite! Ich musste mir die Hand vor die Augen halten, so hell war es. Mmh, mal schnuppern - kalt!

Morgen ist der erste richtige Tag in der Antarktis. Was er wohl bringen mag?

Hier geht es weiter mit: Gustavs erster Tag.